Was passiert, wenn du auf eine Frage antworten musst "Ich weiß es nicht"? Wirst du dann schräg angeguckt? Ist es dir peinlich? Hast du ein schlechtes Gewissen? Denkst du, dass du es wissen solltest, dass du dumm bist oder faul? In welchen Situationen ist es unangenehm, etwas nicht zu wissen, und in welchen Situationen ist es ok?
Ich sah kürzlich einen sehr amüsanten Vortrag von Sir Ken Robinson, in dem er von einer Begegnung mit dem Dalai Lama erzählt. Während einer Diskussionsrunde stellte jemand aus einem 2000köpfigen Publikum dem Dalai Lama eine Frage. Nachdem er ungefähr eine Minute lang nachgedacht hatte und zu einer Antwort ansetzte, war das Publikum nun gespannt, was da nun kommen würde - schließlich war es der Dalai Lama. Er hielt inne und alle Leute warteten auf die sensationelle Antwort, die nun kommen musste. Und dann sagte er: "Ich weiß es nicht." Alle waren bestürzt. Was sollte das heißen, er weiß es nicht? Er ist der Dalai Lama! Wir wissen es nicht. Er sollte es eigentlich wissen. Aber das wundervolle daran war, dass alle im Raum erleichtert waren. Es gab die Erlaubnis dafür, etwas nicht zu wissen. Der Dalai Lama sagte, er wisse es nicht, denn er habe noch nie darüber nachgedacht. Er wolle nicht über etwas reden, was er nicht weiß. Er habe über vieles schon nachgedacht - aber darüber noch nicht.
Das Wissen auf dieser Welt wächst immer mehr. Der Anteil dessen, was wir vom gesamten Weltwissen in einem Leben wissen können, wird immer kleiner. Wer will uns vorschreiben, welchen Teil des gesamten Wissens wir wissen sollen? Wer entscheidet darüber, welches Wissen genau wir für unser Leben brauchen (werden)? Macht es Sinn, dass wir genau das gleiche lernen und wissen müssen wie sämtliche anderen Gleichaltrigen um uns herum? Macht es Sinn, dass alle in unserer Klasse, in unserer Klassenstufe, in unserem Jahrgang, im ganzen Land das Gleiche wissen?
Was ist, wenn du über ein Thema nichts weißt - aber dafür über ganz viele andere Themen, für die sich leider niemand interessiert, die in der Schule nicht gefragt werden? (In einer Sendung über Kinder, die große Schwierigkeiten in der Schule hatten, wurde von einem Jungen berichtet, der sich extrem für Dinosaurier interessierte. Zuhause meißelte er Fossilien aus Gesteinen - vielleicht würde er eines Tages Paläontologe, Archäologe oder Geologe werden - mit Leidenschaft - aber in der Schule interessiert sich niemand für deine Interessen. Er kam in der Schule überhaupt nicht klar und wurde gemobbt. In einem Test stellte sich schließlich heraus, dass er hoch intelligent war. Die ganze Sendung über drei Jungen, die "aus dem Rahmen fallen" und in eine Mühle von Etikettierungs- und Diagnostizierungsmaßnahmen geraten sind - und die, wie ich finde, ganz wundervolle Jungen sind - findest du hier.)
Sir Ken Robinson sagt, in unserer Kultur bedeutet etwas nicht zu wissen, dass man im Unrecht ist, dass es falsch ist, etwas nicht zu wissen. Menschen tun so, als wüssten sie viele Dinge, die sie gar nicht wissen, denn das Schlimmste, was man tun kann, ist, uninformiert zu wirken oder keine Meinung zu haben.
Ist es schlimm, zu sagen, "darüber habe ich noch nicht nachgedacht" oder "dazu habe ich keine Meinung - bis jetzt"? Wie wirkt ein Lehrer, der auch mal sagt "das weiß ich nicht - aber interessante Frage, ich werde versuchen, bis zur nächsten Stunde die Antwort herauszufinden" - sympathisch? Menschlich? (Aber dazu kommt es kaum, oder, denn in der Schule stellen doch nur die Lehrer Fragen, oder?)
Wir sollten die Grenzen unseres Wissens kennen und wissen, was wir nicht wissen. Und wir sollten uns inspiriert fühlen, Dinge zu erforschen, die wir nicht wissen, anstatt uns dafür zu schämen, dass wir sie nicht wissen (sagt Ken Robinson - diese weisen Worte stammen leider nicht von mir).
Ist es mutig zu sagen "ehe ich jetzt so tue, als hätte ich Ahnung davon, sag ich lieber rundheraus: ich weiß es nicht"?
Irgendein Philosoph sagte einmal den klugen Spruch: Wer nichts weiß und weiß, dass er nichts weiß, weiß mehr als der, der nichts weiß und nicht weiß, dass er nichts weiß. - Aber ich weiß nicht mehr, welcher.
Sokrates. Scio me nescire.....
AntwortenLöschen