Die Schule kritisieren kann jeder - und Schulkritik ist ebenso alt, wie die
Schule selbst. Die Schule durch Reformen zu verbessern versuchen, können
ebenfalls viele - Reform: eine "Umgestaltung bestehender
Verhältnisse"... Aber zu schauen und zu durchschauen, auf welchem
"Fundament" das "Schulhaus" steht, an dem da herum gebaut
wird, welche Ideologien und Annahmen und welches Menschenbild ihm zugrunde
liegen, dazu sind nur sehr wenige bereit. Und die zu Ende gedachten
Konsequenzen aus den fundamentalen Erkenntnissen zu ziehen, das gelingt
anscheinend fast niemandem - und in unserem Land, in welchem der Staat die
Herrschaft über die Bildung junger Menschen für sich beansprucht und in dem ein
gesetzlich verankerter Schulanwesenheitszwang herrscht, schon gar nicht. In
diesem Land ist damit nur ein einziger Bildungsweg vorgegeben und erlaubt, was
dazu geführt hat, dass Menschen nicht einmal mehr auf die leise Idee
kommen, es könnte anders gehen, also so - selbst dann nicht, wenn es
ihnen nicht gut geht und sie fast verzweifeln ...
Sind wir zu brav, zu ängstlich, unwissend, ignorant oder zu sehr daran
gewöhnt, unseren eigenen Empfindungen nicht mehr zu trauen, weil uns lange und
scharf genug eingebläut wurde, dass andere besser wissen, was für uns
gut und richtig ist, als wir selber? Oder woran liegt es, dass wir denken, es
könnte keinen anderen Weg der Bildung geben, als den durch die Schule -
den unvermeidlichen, durch den man "halt durch muss", und der, wenn
jemand wagt sich zu verweigern, mit jedem erdenklichen Mittel, und sei es
mit Zwang und mit Gewalt, durchgesetzt werden muss - koste es, was es wolle?!
"Aber so schlimm ist es doch gar nicht", werden manche sagen.
Vielleicht sogar, dass es nie besser war als heute. Haben sie sich einmal genau
umgeschaut?
Was sehen wir denn wenn wir genau hinschauen?
Müssen wir bei der Frage nach "Veränderung" nicht leider
feststellen, dass sich bis auf kleine Reförmchen im Grunde nichts verändert
hat - dass sich, wenn wir genau hinsehen, Vieles sogar verschlechtert hat?
- Dass es so aussieht, als würde das System Schule bald aus allen Nähten platzen vor lauter Symptomen, die seine Beteiligten produzieren: angebliche Aufmerksamkeits- und Lernstörungen, Aggressivität, Mobbing und andere Gewalt, Überforderung, Angst, Stress, Hilflosigkeit, Lustlosigkeit, Gleichgültigkeit, Langeweile, ... Bauch- und Kopf- und Rückenschmerzen ...
- Dass es so aussieht, als müsste mit immer gewaltsameren und widersinnigeren Methoden gegen "Auffälligkeiten" vorgegangen werden, damit etwas aufrechterhalten wird, was vielleicht gar nicht funktioniert - anstatt dank der Auffälligkeiten zu erkennen, dass es nicht funktioniert: Nachsitzen, als "Konsequenzen" getarnte Strafmaßnahmen, medikamentöse Behandlung, Psychiatrieeinweisung, Trainingsraum-Methode (wahlweise "Auszeit" genannt), Lärmampeln, Belohnungssysteme ... "Förder"maßnahmen ...
- Dass immer willkürlicher und anklagender nach dem oder den "Schuldigen" gesucht wird: die doofen, schlechten Lehrer; die faulen, schlecht erzogenen Schüler; die überbehütenden oder vernachlässigenden Eltern; das böse Fernsehen, das böse Internet, die bösen Computerspiele(!) ... Ein Sündenbock ist immer willkommen, um abzulenken! Abzulenken davon, genauer hinzuschauen. Abzulenken von den wirklich wichtigen Fragen ...
Sollten wir wohl Besseres zu tun haben, als uns mit
dem Thema Schule zu beschäftigen?
Es sieht so aus, als sei Schule schon oft und lange und ausführlich genug
von allen Seiten kritisch betrachtet worden. Kritische Erkenntnisse, die z.T.
schon vor Jahrzehnten in verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft
(Psychologie, Soziologie, Neurobiologie, Philosophie, Rechtswissenschaften)
gewonnen wurden, scheinen wenig bis gar nicht in die Praxis des Schulsystems hineinzufließen!
Sollte die Schule nicht schon längst überwunden sein, weil man erkannt haben
müsste, dass sie nicht mehr in unsere Zeit und auch nicht zu dem passt, was dem
Wesen des Menschen entspricht (oooh, dies mag für viele
ein unvorstellbarer, bedrohlicher Gedanke sein!)?
Der Schlüssel liegt tatsächlich nicht in der Beschäftigung mit der
Institution Schule, sondern in der Beschäftigung mit den Menschen. Wenden wir
uns der Person zu, die jeder Mensch ist!
Wenden wir uns nicht dem zu, was "normal" ist, sondern dem, was gesund
ist: Dir!
Also, einem Menschen, der von Natur aus einzigartig, wissbegierig,
mitteilungsbedürftig, kreativ und sozial ist. Einem Menschen, der kompetent ist - der in seinen Äußerungen immer ernst zu nehmen ist! Ja, immer!!
Was geschieht denn mit dem jungen Menschen, der gesund und richtig auf die
Welt kommt - mit allem, was er braucht (nämlich zu wissen und zu
signalisieren, was für ihn gut und nicht gut ist): Er wird zum unfertigen
Menschen gemacht, zum hilfs-, belehrungs-, erziehungs- und förderbedürftigen
"Kind", zum "Minderjährigen", zum Objekt von allerlei
Maßnahmen und guten Absichten - zum "Schüler"! Zum Abhängigen, denn
entscheidend hierbei ist die Botschaft, dass andere besser wissen als er, was
gut und richtig für ihn ist! Das Ganze geschieht auf gutgemeinte, mit viel
Nachdenklichkeit gemachte und geplante Weise, so dass der davon Betroffene ganz
schnell glaubt, dass das alles richtig ist. Daraus folgt dann aber eine
dramatische Schlussfolgerung:
"Der einzige, der dann ja nicht richtig sein kann, wenn er nicht
funktioniert, wie er soll, muss ja dann ich selbst sein!"
(Natürlich geschieht Erziehung auch auf offensichtlich gewaltsame Weise -
das einzig Gute daran ist, dass sie zumindest sichtbar und vielleicht durchschaubar
ist.)
Kann ein Mensch unter solchen Bedingungen das Vertrauen in sich selbst und
seine eigene Urteilskraft bewahren? Hast DU dies bewahren können?
Angenommen, du wärst ein mutiger Mensch geblieben ... aber erst einmal ist ganz
wichtig zu klären:
Was bedeutet denn "mutig sein"?
Mutig bedeutet ganz und gar nicht, dass du dich so verhältst, wie es
andere wollen, dass du die Aufgaben erfüllst, die andere dir
stellen, die Herausforderungen annimmst, die andere wollen, dass Du sie
annimmst!
Mutig bedeutet, dazu zu stehen, dich so zu verhalten, wie du bist,
wie es dir entspricht!
Mutig bedeutet, deinen eigenen Weg zu gehen - auch, wenn es vielleicht
nicht der Weg ist, den alle gehen.
Und mutig bedeutet außerdem, die eigenen Grenzen zu erkennen und dafür
einzustehen.
Mutig bedeutet, Nein zu sagen: wenn du etwas nicht willst, wenn
etwas für dich nicht plausibel - oder vielleicht plausibel, aber dennoch nicht
stimmig ist!
Mutig bedeutet, deine Aufgaben selbst zu wählen, selbst zu entscheiden, welche
Herausforderungen du annimmst - oder nicht annimmst. Mutig bedeutet
überhaupt: selbst zu entscheiden, wie du sein und leben willst.
Selbst entscheiden setzt voraus, dass du "Ja" und
"Nein" sagen darfst!
Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. Heute vor genau sieben
Jahren erschien das Buch "Schluß mit Schule! das Menschenrecht, sich frei zu
bilden" des Philosophen Bertrand Stern. Dieser Titel ist
zugleich provokant wie verheißungsvoll, denn er lässt sich auf zweierlei Arten
lesen: Als herausfordernde Aufforderung, mit der Schule Schluss zu machen (die
eindeutig provokante Variante) - und gewissermaßen als Prophezeiung, dass die
Schule ohnehin am Ende ist ... (die, oh ja, verheißungsvolle Variante).
Was geschieht, wenn wir die Schule nicht mehr einfach nur kritisieren
wollen, wenn wir aufhören wollen, das Verhalten von Menschen zu steuern, sie
mit Belohnungen zu locken (zu "motivieren") und mit Strafen zu
bedrohen, sie anzuschuldigen, ihre Symptome zu behandeln? Was geschieht, wenn
wir nicht mehr nach Rezepten, nach schnellen Lösungen suchen (die es
schlichtweg nicht gibt!), uns nicht mehr ständig neue Konzepte und neue
"Regeln" ausdenken? Was geschieht, wenn wir beginnen, genau Hinzuschauen
und Zuzuhören, genau Nachzudenken - und zu Ende zu
denken? Was geschieht, wenn wir uns dem Menschen zuwenden, seinen
natürlichen Eigenschaften, seiner Gesundheit und Lebendigkeit - seinen Grundrechten?
Wer das gern tun möchte - wer den Mut dazu hat! - lese "Schluß mit
Schule!". Bertrand Sterns radikale Betrachtung entspringt seinem
kompromisslosen, tiefen Respekt vor der Würde der Person, die jeder Mensch -
ganz gleich wie jung oder alt - ist, vor seiner Kompetenz und
Selbstbestimmtheit. Dieses Werk kann dazu beitragen, dass das wachsen und
gedeihen kann, was wir alle dringend brauchen: Vertrauen und Mut! Und es wird
hoffentlich dazu beitragen, dass bald (an)erkannt wird, dass junge
Menschen schlichtweg Menschen sind und dass wir für sie nicht
einfach einen Kontext schaffen können, in dem ihnen die Grundrechte
abgesprochen werden, allen voran das Recht, "Nein" zu sagen - und sei
es ein "Nein" zur Schule! Es möge ebenfalls dazu beitragen, dass sich die "von der Schule betroffenen Menschen" - seien es "Schüler", "Lehrer" oder "Eltern" - von den Fesseln dieser Institution befreien, um sich in den "Landschaften der freien Bildung" zu begegnen, zu entfalten, um zu teilen und zu tauschen - kurz: um frei sich zu bilden!
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Weitere Stimmen zum Buch (aus den Rezensionen bei Amazon):
In klarer Weise wird herausgestellt, dass Menschen keine Objekte sind, die man nach Belieben formen kann; sie sind als Subjekte fähig, selbstbestimmt mit ihrem Dasein umzugehen, so auch, sich frei zu bilden. Doch ausgerechnet die Institution Schule ist daran mitbeteiligt, dass junge Menschen auf subtile Art und Weise zu 'wohlerzogenen Menschen' gemacht werden sollen, die sich fürchten werden, frei zu denken, frei zu handeln, sich frei zu bilden. Für viele Leser wird es wie eine Provokation wirken, dass ausgerechnet die Schule dem Postulat einer freiheitlich demokratischen Grundordnung widerspricht.
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Insofern wünsche ich diesem Buch viele mutige Leser, die, indem sie sich diesem menschenunwürdigen Schulsystem widersetzen, sich aufmachen, neue Horizonte zu erschließen zum Wohle der Menschen, die mündig sind, sich frei zu bilden: Sie werden in diesem Buch so manche befreiende Anregung finden.
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"Schluß mit Schule!" betrachtet Schule und Nicht-Schule theoretisch und praktisch unter mannigfaltigen Aspekten. Es ist am Ende so radikal, wie es im Titel provokativ scheint - gerade deshalb, weil es mittendrin sachlich, aber nicht unemotional ist und immer wieder - bei allem spürbaren Engagement - nüchtern und klar daherkommt. Wer sich auf dieses Buch einläßt, wird immer wieder erstaunt sein, wie viele Aspekte das Thema Bildung und Lernen hat, wie vieles bisher Selbstverständliche mit Leichtigkeit obsolet wird.
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Da, wo andere stecken und stehen bleiben - nämlich bei der Frage, ob Beschulung denn erstens überhaupt nötig und zweitens wenigstens artgerecht ist - legt der Autor erst richtig los. Wobei er gründlich und sorgfältig und erst noch in einer schönen, gepflegten Sprache die grundlegenden Fragen stellt und herrlich unerschrocken radikal beantwortet.
Da schreibt jemand, der wirklich frei denkt. Selten genug. Die Lektüre ist aufrüttelnd und ab und zu erschreckend komisch - wie eben die Schule. Ein nüchterner Blick auf eine kranke und unsere Kinder pervertierende Institution. Zugleich auch eine Chance, die eigene Schulschädigung anzusehen.