Samstag, 4. Juli 2020

Gedanken einer "Schulhasserin"

"Als ich noch zur Schule ging, wurde ich oft gefragt, ob es mir gefiele. Manchmal sagte ich ja, manchmal nein. Allerdings dachte ich nicht viel darüber nach, denn ich fand, dass es egal wäre. Ob es mir nun gefiel oder nicht, ich hatte keine andere Wahl - zumindest glaubte ich das. Auf abstrakte Weise glaubte ich sogar an die Schule: an Ausbildung, Lernen, große Schriftsteller, Dichter, Denker und all das. Meine Noten waren ausgezeichnet, obwohl ich Hausaufgaben hasste - und sie nur selten machte. Ich fühlte mich deswegen eher schuldig als stolz. Auch der mangelnde Respekt, mit dem meine Altersgenossen und ich lebten, störte mich nicht, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, von Erwachsenen anders behandelt zu werden."

Als ich vor 9 Jahren diesen Blog ins Leben gerufen und die ersten Beiträge geschrieben hatte, bat ich meine Schwester, ihn einmal in einem ihrer (völlig themenfremden) Foren zu teilen und um Meinungen dazu zu bitten ... 

In kürzester Zeit brach eine Flut von Nachrichten herein, die - abgesehen von etwa zweien - vor Empörung und Ablehnung strotzten (damals war Bloggen noch nicht sooo in Mode wie heute und der Begriff "Shitstorm" war mir noch völlig unbekannt, aber ich glaube, heute würde man es so nennen). Ich war sehr betroffen... "Schulhasserin" und dergleichen nannten sie mich... 

Ich hatte kein dickes Fell, das hat mich damals gedanklich sehr beschäftigt. Ich las meine ersten Beiträge wieder und wieder mit der Frage, ob ich Dinge angreifend, abwertend, aggressiv oder polemisch ausgedrückt hatte und bemühte mich um sehr bedachte  Formulierungen...


Wie war ich denn zu diesem Blog gekommen??

Ein kleines Mädchen hatte mich dazu gebracht, über Schule nachzudenken. Sie war schon vor der Einschulung sehr unglücklich gewesen bei der Aussicht, in die Schule zu müssen, und hatte mir energisch gesagt "Ich will da nicht hin!"

Was... was... was?? Wie? Und jetzt...?

Zur gleichen Zeit arbeitete ich in einer Kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis als Psychologin und stellte fest, dass die meisten Probleme, mit denen junge Menschen und ihre Familien zu uns kamen, mit Schule zu tun hatten. Ich hörte Geschichten, bei denen mir das Herz weh tat... Ich sah tolle junge Menschen - die ich als völlig gesund und richtig empfand - mit denen nun irgend etwas nicht stimmen sollte ...

Den entscheidenen Kick für die Idee dieses Blogs versetzte mir ein Buch, das mir irgendwann in die Hände fiel. Ich dachte zunächst über die Gründung einer eigenen Schule nach, weil mir viele Sachen an der "normalen Schule" nicht gefielen. Sie gefielen mir allein schon deshalb nicht, weil ich mich an so viele Erkenntnisse aus dem Psychologiestudium erinnerte über den Menschen - darüber wie er lernt, wie sein Gehirn und seine Psyche "funktionieren" und beschaffen sind - die mich fragen ließen: "Wieso wird das in den Schulen denn noch so gemacht, wo es doch völlig den psychologischen und hirnphysiologischen Erkenntnissen widerspricht??" Ich habe es einfach nicht verstanden!!

Und dann stieß ich auf das Teenager Befreiungs Handbuch. Geschrieben von einer amerikanischen ehemaligen Lehrerin. Bei ihrer Haltung jungen Menschen gegenüber ging mir das Herz auf!! Respektvoll, würdigend, liebevoll. Und dieses Buch war voll mit Geschichten von jungen Menschen, die ohne Schule lernten... und das war so unglaublich faszinierend für mich, dass ich dachte: "Das müssen die Menschen doch mal erfahren! Dass es auch noch ganz anders geht."

In den letzten 9 Jahren ist viel geschehen... ich habe viel anderes gelesen, viele, viele, viiiele weitere Geschichten von jungen Menschen und ihren Familien gehört und mitbekommen. Von viel Gewalt erfahren, die junge Menschen tagtäglich erleben. Habe mehrere Artikel geschrieben. Vieles durchdacht und meine Haltung immer wieder hinterfragt...

Ja, am Anfang war ich empört und eine bis dahin unbekannte Seite in mir war erwacht und wagte es, die Schule zu kritisieren! (Nebenbei bemerkt: Die Schule wird schon so lange kritisiert, wie es sie gibt.)

Ich selbst war eine brave und gute Schülerin gewesen, angepasst, teilweise still leidend, aber niemals infragestellend. Ich habe ein gutes Abitur gemacht, habe also eigentlich keinen Grund, mich zu beschweren...

Jedoch erkenne ich heute Dinge, die ich damals nicht erkannte, sehe heute Dinge, die mich entsetzen und empören. Denn erstens geht es nicht um mich und nicht um diejenigen, die gern zur Schule gehen, die gut mit ihr klar kommen, für die alles in Ordnung ist. Es geht um all diejenigen, für die nicht alles oder sogar gar nichts in Ordnung ist. Diejenigen, die leiden, die Schaden erleiden, die mit Angst und Bauchschmerzen dort ein und aus gehen oder am liebsten gar nicht mehr hingehen würden...

Zweitens ist Schule - nein, besser gesagt Kindheit! - heute nicht mehr so wie vor 20-30 Jahren - in meiner Zeit damals vor 2000. Einiges hat sich in eine besorgniserregende Richtung entwickelt...

Trotz aller Kritik an Schule geht es mir heute nicht mehr um Schule!

Es geht mir um den Menschen, den jungen Menschen, der hier und heute groß wird. Als was wird er gesehen? Wie wird er behandelt? Wird er respektiert? Wird er ernst genommen? Werden seine Bedürfnisse berücksichtigt? Wird seine Würde geachtet? Und dies egal an welchem Ort!

Wir könnten jeden Ort bzw. Kontext nehmen: Ein Krankenhaus, eine Arztpraxis, ein Kinderheim, ein Seniorenheim, einen Verein, eine Schule, eine Familie, einen Arbeitsplatz ... 

Entscheidend ist die Frage: Geht es dem Menschen dort gut, wird er respektiert und respektvoll behandelt? Fühlt er sich respektiert und ernst genommen?

Und was ist, wenn nicht? Kann/darf er dann etwas an dem Ort verändern oder ihn verlassen??




Was denkt ihr darüber? Welche Erfahrungen macht ihr oder habt ihr gemacht?

 Neugierig, Eure vermeintliche "Schulhasserin"


Falls Du mich und mein Engagement unterstützen möchtest :)

Gedanken einer "Schulhasserin"

"Als ich noch zur Schule ging, wurde ich oft gefragt, ob es mir gefiele. Manchmal sagte ich ja, manchmal nein. Allerdings dachte ich...