Sonntag, 30. Oktober 2011

Warum Schule dir den Schlaf raubt & deine Eltern mit dir ab heute nicht mehr über Bettgehzeiten zanken sollten

"Der frühe Schulbeginn zwischen 7:30 und 8:00 Uhr widerspricht dem Biorhythmus von Kindern und Jugendlichen", heißt es in einem Beitrag auf www.stern.de. Weiterhin wird berichtet, dass amerikanische Forscher Folgendes herausgefunden haben: "Bereits die Verlegung des Unterrichtsbeginns um nur 30 Minuten sorgte für eine Stunde mehr Schlaf, bessere Laune und Leistungen. Je älter die Schüler waren, desto mehr profitierten sie davon." Klingt wie eine simple Lösung. Was spricht dagegen?


Kurz nachdem ich diesen Beitrag gesehen hatte, fand ich in einem Artikel von Remo Largo, einem Schweizer Kinderarzt, Autor und dreifachem Vater, einige Erklärungen dazu. Er schreibt, dass Eltern und Lehrer sich einig darüber sind, dass Jugendliche grundsätzlich zu spät ins Bett gehen, demnach auch schwer morgens aus den Federn kommen, in der Schule müde und unaufmerksam sind und schlechte Schulleistungen bringen. Die Jugendlichen seien selbst dafür veranwortlich, denn wenn sie früher ins Bett gingen, gäbe es diese ganzen Probleme nicht.

Sehr erstaunte mich die Aussage: "Sei etwa 20 Jahren wissen wir, dass dem nicht so ist." Wer wusste das? Warum wusste ich nichts davon, meine Eltern auch nicht?! Schließlich war auch ich innerhalb der letzten 20 Jahre eine Jugendliche. Dann finde ich, wird es langsam Zeit, dass dieses Wissen Verbreitung findet!

"Jugendliche können - auch wenn sie sich noch so bemühen - aus biologischen Gründen nicht früher einschlafen", schreibt Largo. Hier die biologischen Gründe:
  1. Verschiebt sich eure "innere Uhr" (euer circadianer bzw. 24-Stunden-Rhythmus) um eineinhalb Stunden nach hinten. Das Schlafhormon Melatonin wird entsprechend später ausgeschüttet.
  2. Verlängert sich eure "innere Periode": Die meisten von euch werden in der Pubertät zu "Nachteulen". (Nur etwa die Hälfte der Menschen hat einen 24-Stunden-Rhythmus. Unter den anderen gibt es die "Nachteulen", die abends länger aufbleiben und morgens schwer aus dem Bett kommen, und die "Lerchen", welche abends früh müde werden und dafür morgens eher munter sind.)
  3. Sinkt der Schlafbedarf in der Pubertät um etwa 2 Stunden.
Diese Erkenntnisse können euch helfen euren Eltern zu erklären, warum es vergeblich und nicht nötig ist, euch zu ermahnen, früher schlafen zu gehen (lieber sollen sie mit euch einen entspannten Abend unter Erwachsenen genießen oder euch in Ruhe die Freizeit auskosten lassen).

Als Erklärung für das veränderte Schlafverhalten vermutet Largo, dass "die Natur den jungen Erwachsenen damit Gelegenheit geben (will), sich abends länger zu treffen, um sich kennenzulernen und Beziehungen einzugehen". Bleibt anzumerken, dass Schule im Leben eines jungen Menschen so viel Raum einnimmt, dass tagsüber sehr wahrscheinlich gar nicht viel Zeit bleibt, um Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.

Bereits in den 90er Jahren hatten die Schulbehörden im amerikanischen Staat Minnesota den Schulbeginn eineinhalb Stunden nach hinten verlegt, woraufhin die Schüler aufmerksamer und ihre Leistungen besser wurden und sie seltener fehlten oder zu spät kamen. "Die Skeptiker hatten erwartet, dass die Jugendlichen nun abends noch länger aufbleiben würden, da sie ja später aufstehen konnten - doch diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet."

"Einige europäische Länder, wie etwa Großbritannien machen es bereits vor", wird im Stern-Beitrag berichtet: "Hier beginnt der Unterricht zwischen 8:30 und 9:00 Uhr. Deutschland sträubt sich jedoch weiterhin vor dieser simplen Lösung. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht!" 

Dabei wäre eine Anpassung des Schulssystems an eure natürlichen Bedürfnisse wichtig für euch. Was der Stern-Beitrag mit Sarkasmus kommentiert, drückt der Heidelberger Kinderarzt und Wissenschaftler Dr. Herbert Renz-Polster in einem interessanten Artikel (Problemzone Pubertät? Das Verhalten junger Menschen aus evolutionärer Sicht) drastisch und direkt aus: "Die durch eine Stunde Schlafdefizit ausgelöste Leistungsminderung ist größer als der normale Leistungsunterschied zwischen einem Viert- und einem Sechstklässler! Medizinisch gesprochen: Schlafmangel wirkt auf das Gehirn eines Jugendlichen in etwa wie eine chronische Bleivergiftung. [...] Dass die Schulpolitik es nicht schafft, das Problem des zu frühen Schulbeginns für Jugendliche anzugehen, zeigt einmal mehr, wie wenig es in der Schule wirklich um die Bedürfnisse der Schüler geht."

Wenn du nicht die Schulpolitik auf deiner Seite hast, so hoffe ich, dass diese Informationen deinen Eltern helfen, sich auf deine Seite zu stellen (oder sie zu bestärken, wenn sie auf deiner Seite sind).

Largo schreibt noch, dass sich nach dem 22. Lebensjahr die "innere Uhr" nach und nach wieder zurückdreht. (Ich selbst erinnere mich, dass ich in den ersten Semestern meines Studiums so gut wie nie in den 8Uhr-Veranstaltungen war. Scheint eine gesunde Reaktion gewesen zu sein). "Und so freuen sich die Eltern, wenn ihre erwachsen gewordenen Kinder dann plötzlich wieder früher und besser gelaunt am Frühstückstisch erscheinen."

Im Übrigen möchte ich anmerken: Warum soll sich überhaupt jemand anmaßen, dir vorzuschreiben, wann du lernen sollst? Es gibt Menschen, die können das am besten vormittags, andere besser am späten Nachmittag; wieder andere können Informationen am besten in späteren Abend- oder Nachtstunden aufnehmen. Es gibt Tage, da können wir es besser, und andere, da können wir es schlechter (oder gar nicht). Und überhaupt: Warum sollen wir glauben, Lernen bedeute, Wissen anzuhäufen, Auswendigzulernen und sich auf Prüfungen vorzubereiten? 

"Dabei entsteht echtes Verstehen in jedem Alter nur über konkrete, selbstbestimmte Erfahrungen", so Largo. 

Wieviel Gelegenheiten hast du täglich, konkrete, selbstbestimmte Erfahrungen zu sammeln? Hast du sie eher innerhalb oder außerhalb der Schule? Worauf beziehen sich die, welche du innerhalb der Schule hast (ich gehe davon aus, weniger auf den Unterrichtsstoff)?

"Lehrer und Erzieher haben eine wichtige Erkenntnis gewonnen. Sie sind dahinter gekommen, dass das Leben und die Welt rund um uns aufregend ist. Deshalb versuchen sie, etwas mehr davon zwischen die Schreibtische, Stühle, Wände, Zeitpläne, begrenzten Ressourcen, Transportmittel und standardisierten Tests zu zwängen. [...] Sie verharren in der Ansicht, Schule sei die Wirklichkeit und das Universum existiere nur, um der Schule mehr 'Lehrmaterial' zu bieten. Natürlich ist es genau andersherum: Die große, weite Welt ist die Wirklichkeit, und die Schule dient nur dazu, dass wir uns in dieser Wirklichkeit besser zurecht finden. Sie darf diese Wirklichkeit aber nicht ausschließen." (Grace Llewellyn, ehem. Lehrerin und Autorin des Teenager Befreiungs Handbuchs)

5 Kommentare:

  1. "Warum soll sich überhaupt jemand anmaßen, dir vorzuschreiben, wann du lernen sollst?"

    Alleine lernen kann ja jeder wann er will. Aber es dürfte schwierig werden den selben Unterricht morgens, nachmittags und abends anzubieten, oder?

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  2. Ja, das denke ich auch, dass das schwierig wäre.
    Ich finde, wir sollten zunächst einmal grundlegend die Frage stellen, ob denn derselbe Unterricht für alle wirklich sinnvoll ist?

    Zum anderen gäbe es aber auch innerhalb bestimmter Tageszeiträume - zum Beispiel innerhalb des Vormittags - die Möglichkeit, Freiheiten einzuräumen, ob nun jemand lieber erst zwei Stunden lesen und dann im Chemielabor experimentieren will, oder ob er zuerst Matheaufgaben lösen möchte, bevor er sich anderen spannenden Themen widmet, die ihn interessieren und die ihm wichtig und relevant erscheinen.

    Um noch etwas weiter zu gehen: Manchmal könnte es spannend und sinnvoll sein, sich tage- oder wochenlang nur mit Astronomie zu beschäftigen, intensiv eine Fremdsprache zu lernen, Romane bedeutender Schriftsteller zu lesen oder haufenweise Bücher und Filme über die Sozialgeschichte Europas zu verschlingen - wer will denn darüber urteilen, was von dem immerzu anwachsenden Weltwissen du dir aneignen sollst, wenn nicht du selbst, geleitet von deinen Interessen und Fähigkeiten oder angeregt durch Lehrer oder Lernbegleiter?

    Ich denke, wenn man wollte und sich einmal wirklich dafür interessieren würde, könnte man vieles verändern...

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  3. Freiheiten in bestimmten Tageszeiträumen: wie soll denn bitte ein Chemielabor ständig beaufsichtigt werden (und ja, das muss sein- auch mit einfachen Chemikalien kann man böse Unfälle verursachen)-am besten noch wenn alle an etwas anderem experimentieren?
    Ich habe selbst einiges an Büchern "bedeutender Scriftsteller" selbststätig gelesen- außerhalb der Schule. Auch das geht, man hat nie wieder so viel Freizeit wie zu Schulzeiten(und ich war auf einer Ganztagsschule)- aber ich habe/hätte nicht die Hälfte der Interpretationsmöglichkeiten gefunden, die dann im Unterricht aufgezeigt worden sind.

    Schule legt nur eine Wissensgrundlage. Ich habe einen Beruf der in Richtung Biologie geht. Hätte mir das jemand in der 7 Klasse gesagt, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt. Weil ich die Grundlagen der naturwissenschaftlichen Fächer insbesondere Biologie langweilig fand. Mein Glück, dass ich zu diesen Fächern gezwungen worden bin bis es in dr Oberstufe inteeressant wurde. Anderes Beispiel: viele meiner Kollegen wußten immer schon, dass sie zu den Naturwissenschaten tendierten und haben nicht im Traum daran gedacht sich freiwillig (teilweise auch nicht unfreiwillig ;-) ) mit Sprachen zu beschäftigen. Und Überraschung: praktisch alle relevanten Publikationen sind in englischer Sprache. Und der Labornachbar aus China kommuniziert auch in der Sprache. Gut, dass die meisten von uns das lernen "mußten".

    Ich denke wenn man wollte und sich mal wirklich dafür interessieren würde, könnte man in vielen bestehenden Strukturen tatsächlich einen Sinn erkennen...

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  4. Pah. Ich kriege auch immer so tolle Ratschläge, früher schlafen zu gehen. Ich versuchs. jeden verdammten Abend. Aber ich kann einfach nicht einschlafen- trotz Beruhigungsmedikamenten -ja.
    Vielleicht weil einfach die Angst, am morgen früh aufstehen zu müssen, jede Stunde, die ich wachliege, steigt. Am morgen komm ich meistens gar nicht aus dem Bett, schlafe wieder ein, etc.
    In der Schule kann ich mich auf NICHTS konzentrieren, nicht mal Konversationen mit meinen Freunden führen. Dank des neuen Schulsystems komme ich dann irgendwann von 4-6 nach Hause und schaff gar nichts mehr. Und der scheiß wiederholt sich.




    ...wollte mich nur mal auskotzen.

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  5. Nja.. bei mir sind die Probleme die Hausaufgaben. Ich komme ca. 15:30 Uhr nachhause, eine Stunde ausruhen, dies und das erledigen in der Zwischenzeit..Und dann mit den Hausaufgaben anfangen, entweder irgendwelche sinnlosen Vorträge vorbereiten, unnötige Texte schreiben oder für Klausuren wie eine Verrückte büffeln. Irgendwas ist Immer. Ich persönlich kriege meine acht stunden Schlaf gerade noch so, wenn ich auf Freizeit und Pausen Zwischendurch verzichte. Also mein Hirn muss den ganzen Tag auf Hochtouren fahren und total konzentriert sein. Ja ne ist klar. 8 H schlaf sind viel zu wenig wenn man einige Tage nur 6 h Schlaf bekommen hat wegen den ganzen Hausaufgaben. Dementsprechend sind auch die Leistungen.

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Gedanken einer "Schulhasserin"

"Als ich noch zur Schule ging, wurde ich oft gefragt, ob es mir gefiele. Manchmal sagte ich ja, manchmal nein. Allerdings dachte ich...